Forschungsziele des LCSS
Das Leibniz Forschungszentrum Wissenschaft und Gesellschaft verfolgt hauptsächlich vier Ziele:
(1) Die interdisziplinäre Analyse der Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft
Die Wechselwirkungen werden als Zusammenspiel von „Bewegungen und Gegenbewegungen“ aufgefasst. Bereits 1970 hat Robert K. Merton zwei zentrale Forschungsfragen für die Wissenschaftsforschung formuliert, die sich ähnlich für die Hochschulforschung stellen: „In welchen Formen vollzieht sich das Wechselspiel zwischen Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft? Variieren Beschaffenheit und Ausmaß dieser Wechselbeziehungen in unterschiedlichen historischen Kontexten?“ (Merton [1970] 1985: 35). An diesen – sehr generell formulierten – Fragen orientiert sich das erste Forschungsziel des Forschungszentrums. Die Erforschung der Wechselwirkungen rückt zwei Forschungsfragen in den Mittelpunkt:
⇒ Wie und warum verändern sich Wissenschaft und Hochschulbildung in modernen Gegenwartsgesellschaften?
⇒ Welche Auswirkungen haben die Veränderungen von Wissenschaft und Hochschulbildung auf die Gegenwartsgesellschaften?
Zur Realisierung dieses Ziels legt das Forschungszentrum Wert auf eine breite theoretische Fundierung, um über mehrere fachwissenschaftliche Perspektiven (insb. Philosophie, Soziologie, Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften) hinweg theoretische Synthesen zu erarbeiten.
(2) Die systematische Verbindung von Theorie und Empirie
Wissenschafts- und Hochschulforschung stehen vor der Aufgabe, neue Denkfiguren, Kategorien und Klassifikationen zu konstruieren, die nur aus einer Verschränkung von theoretischer und methodologischer Forschung hervorgehen können. Die neuen Denkfiguren, Kategorien und Klassifikationen müssen einerseits die Spezifität von Hochschule und Wissenschaft beachten und andererseits die Möglichkeit eröffnen, Hochschule und Wissenschaft in einen größeren gesellschaftlichen Kontext (z.B. Sozialstruktur, ökonomische oder politische Veränderungen) einzubetten. Bislang borgen sich die Hochschul- und die Wissenschaftsforschung oftmals ihre Denkfiguren, Kategorien und Klassifikationen aus anderen Forschungsbereichen, beispielsweise der Schul-, Bildungs- oder der Organisationsforschung. Um die Wechselwirkungen von Wissenschaft und Gesellschaft den gegenwärtigen Veränderungen gemäß empirisch untersuchen zu können, sind neue Denkfiguren, Kategorien und Klassifikationen zu entwickeln.
(3) Hochschul- und Wissenschaftsforschung enger zusammenführen
Zur Erreichung dieses Ziels geht das Forschungszentrum zwei Wege: Zum einen wird die Perspektive der Wissenschafts- und Hochschulforschung auf ihren jeweiligen Kern gerichtet, zum anderen werden zentrale Überschneidungsbereiche von Hochschul- und Wissenschaftsforschung identifiziert. Als Kern der Wissenschaftsforschung wird die „Unabhängigkeit der Forschung“ und als Kern der Hochschulforschung die „Hochschulbildung“ bestimmt. Diese Perspektivierung ermöglicht eine systematischere Zuordnung von Themen und Problemen, vor allem löst sie sich von der eher deskriptiv denn theoretisch begründeten Zuordnung entlang von Institutionen oder Organisationen, wie Hochschulen oder Forschungseinrichtungen. Aus der Identifizierung der Überschneidungsbereiche ergibt sich, dass die beiden Perspektivierungen aufeinander zu beziehen sind, dementsprechend sind die Hochschul- und Wissenschaftsforschung miteinander verschränkende theoretische und methodische Konzepte zu entwickeln. Ein wichtiger Überschneidungsbereich ist die Forschung zum wissenschaftlichen Nachwuchs, und zwar nicht nur über Promovierende, sondern ebenso über die Post-Doc-Phase und Qualifikationsphasen außerhalb der Wissenschaft, wie sie beispielsweise für ingenieurwissenschaftliche Karrierewege typisch sind. Weitere Überschneidungsbereiche sind die Verbindung von Forschung und Lehre oder das Public Unterstanding of Science, wo Forschung und Öffentlichkeit miteinander interagieren. Diese Aufzählung umfasst bekannte Überschneidungsbereiche, das Forschungszentrum macht es sich zur Aufgabe, weitere zu identifizieren.
(4) Etablierung einer strukturierten Graduiertenausbildung
Bislang existiert im Bereich der Wissenschafts- und Hochschulforschung keine systematische strukturierte Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Um diesen Mangel zu beheben, hat das Forschungszentrum die Graduiertenschule Wissenschaft und Gesellschaft eingerichtet. Die Graduiertenschule bildet die ganze interdisziplinäre Breite der Hochschul- und Wissenschaftsforschung ab, insbesondere sind dort die fünf Disziplinen des Forschungszentrums vertreten: Soziologie, Politikwissenschaften, Philosophie, Rechtswissenschaften und Ökonomie. Die Promotionen orientieren sich an vier Forschungsachsen: Epistemologie, Legitimation und Normierung, funktionale Differenzierung und soziale Differenzierung. Die Graduiertenschule wird gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) betrieben.
Referenz: Merton, Robert K.(1985): Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.